Innovationskraft durch weltweites Know-How
Seit März 2019 gibt es bei Fresenius Medical Care das Global Medical Office. Damit wollen wir unsere Aktivitäten rund um die patientenorientierte Versorgung verbessern. Diese globale Funktion ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg hin zu einer umfassenden Veränderung der Gesundheitsversorgung weltweit auf Basis unseres vertikal integrierten Geschäftsmodells.
Wenn Len Usvyat eine Dialyseklinik besucht, sieht er Daten überall. Das Geräuschprofil der Dialyseklinik, ein aktuelles Blutbild eines Patienten – fast alles im Klinikalltag ließe sich in nummerische Fingerabdrücke umwandeln, sagt der studierte Betriebswirt und Vice President of Applied Advanced Analytics bei Fresenius Medical Care. Die Auswertung von Daten hat er zu seiner Mission gemacht: Er will die Behandlung von Menschen mit Nierenerkrankungen durch die universelle Sprache der Zahlen verbessern. „Mich hat fasziniert, dass hinter jedem Datensatz ein Mensch mit eigenen Empfindungen steht, dessen Krankheitsverlauf wir positiv beeinflussen können“, sagt Usvyat.
Die Behandlung von Nierenerkrankungen wird künftig immer effizienter, personalisierter und präziser werden.
Er leitet bei Fresenius Medical Care ein Team aus Epidemiologen, Computerwissenschaftlern, Ingenieuren und Pharmakologen. „Die Rolle meines Teams ist, innovative, auf Daten basierende Lösungen in jeden Winkel unserer Organisation zu bringen“, erklärt Usvyat. „Wir suchen in unseren Daten nach Mustern, um diese in hilfreiche, in die Praxis umsetzbare Erkenntnisse für das medizinische Personal zu übersetzen.“ Die Spezialisten für Big Data versuchen, mit Hilfe von Computeralgorithmen den Verlauf von Nierenerkrankungen zu beschreiben, vorherzusagen und in eine positive Richtung zu verändern. Deskriptive, prädiktive und präskriptive Analyse nennen die Experten diese drei unterschiedlichen Ansätze.
Usvyats Team kann dabei auf einen riesigen Datenschatz zurückgreifen: Fresenius Medical Care besitzt weltweit Daten von mehr als 1,9 Millionen Dialysepatienten, 1,7 Milliarden Labortests und 500 Millionen durchgeführten Dialysebehandlungen. In die Analysen der Datenwissenschaftler fließen jedoch nicht nur klassische Gesundheitsdaten ein, sondern auch eine Vielzahl weiterer Informationen wie Wetterprognosen, demografische Daten oder Verkehrsdaten. „Auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein erweckt, aber all diese Daten können wertvoll für uns sein“, sagt Usvyat. Die Computer suchen in den riesigen Datensätzen nach wiederkehrenden Mustern, auffälligen Abweichungen oder bisher unbekannten Korrelationen.
Bessere Therapieergebnisse für Patienten
Usvyat wird geradezu euphorisch, wenn er über die medizinischen Einsatzmöglichkeiten der Daten spricht: „Die Behandlung von Nierenerkrankungen wird künftig immer effizienter, personalisierter und präziser werden“, ist er sich sicher.
In Zukunft würden smarte Therapien Einzug halten, die die individuellen Bedürfnisse und Charakteristika der Patienten berücksichtigen. Um individualisierte Therapien zu entwickeln, würden einerseits vorhandene Daten aus klinischen Untersuchungen genutzt; darüber hinaus seien aber auch Echtzeit-Informationen von Fitnesstrackern, Dialysemaschinen und anderen Geräten wertvoll, die ausgewertet werden können.
Anhand der routinemäßigen Auswertung Hunderter Datenpunkte kann Usvyats Team heute schon prognostizieren, welchen Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Krankenhausaufenthalt bevorsteht oder wer ein erhöhtes Risiko für Infektionen hat. Durch deren Vermeidung können bessere Therapieergebnisse und eine höhere Lebensqualität für Patienten erzielt werden, wovon auch Gesundheitssysteme profitieren.
Doch der Nutzen der Daten beschränkt sich nicht auf klinische Prognosen, sie können auch organisatorisch hilfreich sein: Auf der Grundlage von Verkehrsdaten etwa kann die Routenplanung für Patientenvisiten verbessert werden – und basierend auf Wetterdaten können die Datenanalysten bestimmen, welcher Patient aufgrund von Wetterkapriolen in seiner Wohngegend mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu seinem nächsten Dialysetermin erscheinen wird. Daten zur Wohnsituation von Patienten lassen darüber hinaus Rückschlüsse zu, ob die Heimdialyse eine sinnvolle Behandlungsoption wäre.
Neue Chancen durch stärkere Vernetzung
Bislang hat das Team rund um Usvyat vor allem mit Daten aus dem nordamerikanischen Raum gearbeitet. Doch anderswo gibt es ähnliche Ansätze, etwa in den Regionen Asien-Pazifik und Europa sowie innerhalb der Geschäftsbereiche Forschung und Entwicklung sowie Produktion, Qualität und Logistik.
Das Global Medical Office (GMO) soll diese Experten und Forschungsprojekte weltweit miteinander vernetzen, damit sie über Landesgrenzen hinweg enger zusammenarbeiten, voneinander lernen und dadurch gemeinsam klinische Innovationen vorantreiben und in die Praxis überführen können. „Damit eröffnen sich uns vielversprechende neue Chancen“, ist Usvyat überzeugt; sein Team ist im GMO angesiedelt.
Geleitet wird das GMO von Franklin W. Maddux, MD, der bereits seit vielen Jahren Medizinischer Leiter bei Fresenius Medical Care ist und Anfang 2020 als Globaler Medizinischer Leiter in den Vorstand berufen wurde. Die organisatorische Veränderung macht deutlich, dass Fresenius Medical Care medizinische Wissenschaft auf globaler Ebene als entscheidenden Erfolgsfaktor versteht. Die Arbeitsgebiete des GMO gehen weit über die Nutzung von Advanced Analytics und Big Data in der Dialyse hinaus – die Experten beschäftigen sich beispielsweise auch mit dem Heilungspotenzial regenerativer Medizin oder der Entwicklung wirkungsvollerer Medikamente für Nierenkranke. Wissen und Erfahrungswerte aus der klinischen Forschung sollen weltweit effektiver genutzt werden. Am Ende steht dabei immer das bestmögliche Behandlungsergebnis für den Patienten.
Global Medical Office
Fresenius Medical Care hat im März 2019 das Global Medical Office etabliert, um die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch im Unternehmen zu fördern und so bestmögliche Behandlungsergebnisse zu erreichen. Mit der Aufnahme der medizinischen Leitung in den Vorstand unterstreicht Fresenius Medical Care seine Absicht, klinische Wissenschaft auf höchstem Niveau in die Praxis zu bringen.
Fresenius Medical Care ist in rund 50 Ländern mit Dialyseprodukten sowie mit mehr als 3.990 Dialysekliniken aktiv und stellt als Marktführer jede zweite Dialysemaschine weltweit her. „Nierenerkrankungen sind eine Epidemie, die die Gesundheitssysteme überall auf der Welt belastet“, erklärt Maddux. „Als vertikal integriertes, global agierendes Gesundheitsunternehmen verfügt Fresenius Medical Care über beste Voraussetzungen, um die Möglichkeiten vernetzter Daten und innovativer Lösungen weltweit zu nutzen und weiterzuentwickeln.“
Das GMO-Team veröffentlicht regelmäßig seine wichtigsten Erkenntnisse. Darüber hinaus wurde 2019 auch das erste weltweit gültige Rahmenwerk entwickelt, mit dem regionsübergreifend Schwerpunkte für die Verbesserung der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung gesetzt werden – ein weiterer Beitrag zur langfristig weltweit einheitlichen und immer besseren Versorgung nierenkranker Menschen. Die weltweite Kooperation in Form des GMO birgt jedoch auch Herausforderungen. „Die größte Hürde ist die Vielfalt der unterschiedlichen Gesundheitssysteme weltweit“, sagt Usvyat.
Im Hinblick auf Big Data bedeute das vor allem eine sehr komplexe und vielschichtige Datenlage. In jeder Region werden Gesundheitsdaten und demografische Angaben anders gesammelt, strukturiert und organisiert. Auch die unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben muss sein Team bei länderübergreifenden Projekten beachten.
Algorithmen werden immer selbstverständlicher
In seiner Arbeit ist Usvyat auch immer wieder mit kontroversen Fragestellungen konfrontiert – etwa der Frage, ob der Computer irgendwann Ärzte und Krankenschwestern ersetzen könnte. „Mit Sicherheit nicht“, sagt der Datenspezialist. „Wir werden immer menschliches Know-how brauchen, um sicherzustellen, dass die Berechnungen des Computers Sinn ergeben und korrekt interpretiert werden.“ Schon bei der Erstellung der mathematischen Modelle arbeitet sein Team eng mit niedergelassenen Ärzten und dem Klinikpersonal zusammen, um deren Bedürfnisse noch besser zu verstehen. „Wir wollen ihnen helfen und ein Werkzeug an die Hand geben, damit sie ihre Arbeit noch besser machen können“, sagt Usvyat.
Usvyat glaubt, dass Algorithmen im Gesundheitswesen immer selbstverständlicher werden – und dass wir uns daran gewöhnen werden. Doch auch für ihn hat der Einsatz von Computerprognosen im klinischen Alltag Grenzen – etwa, wenn es um die Berechnung der Sterblichkeit oder um Korrelationen in Kombination mit Geschlecht oder Hautfarbe geht. „Bei solchen ethisch relevanten Fragestellungen müssen wir sehr behutsam und sensibel sein“, sagt Usvyat. „Aber eins ist sicher: Wenn wir die neuen Werkzeuge vernünftig einsetzen, können wir die Lebensqualität unserer Patienten nachhaltig verbessern.“