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Die Hoffnung ist lila

Der Purple Truck ermöglicht den australischen Ureinwohnern, auch fernab der grossen Städte, in ihrem gewohnten Umfeld, eine Dialysebehandlung zu erhalten.

Es ist ein trauriger Tag in der Wüste. Dabei gab es doch heute eigentlich Anlass zur Freude: Endlich, nach langer Zeit, ist Jedda Marshall zurück in Papunya.

Doch jetzt liegt eine beklemmende Ruhe über der Gemeinde im australischen Outback. Die rund 300 Menschen, die hier wohnen, haben sich in ihre Häuser zurückgezogen. Jedda Marshall blickt zu den Wolken und schweigt. Ein Mitglied ihrer Familie ist gestorben. Heute wird er beerdigt, und die gesamte Gemeinde trauert. Aber immerhin: Sie kann dabei sein bei diesem wichtigen Ereignis. Und das ist ein grosser Fortschritt.

Denn Jedda Marshall lebt schon eine ganze Zeit nicht mehr in Papunya. Sie gehört zu den zahlreichen australischen Ureinwohnern, deren Leben durch eine Nierenschädigung beeinträchtigt ist. Deshalb muss sie dort leben, wo die Dialysemaschinen stehen: 240 Kilometer entfernt von Papunya, in Alice Springs. Die einzige grössere Stadt im Zentrum Australiens ist bekannt als Durchgangsstation für all jene, die den früher als Ayers Rock bezeichneten Berg Uluru besuchen. Touristen finden hier Hotels, Restaurants, Läden, einen Flughafen und einen Bahnhof.

Australische Ureinwohner, die wie Jedda Marshall aus ihrer Gemeinschaft gerissen worden sind, finden in Alice Springs hingegen nur schwer sozialen Halt und eine Bleibe.

Wieder zu Hause

Heute ist Jedda Marshall endlich wieder dort, wo sie geboren wurde, zur Schule ging, sieben Kinder zur Welt brachte und vor ihrer Krankheit in einem Geschäft arbeitete.

Und das verdankt sie dem „Purple Truck“, der sie nach Papunya gebracht hat. Der violette Lkw ist auf seiner Jungfernfahrt und hat eine komplette Dialysestation an Bord. Jedda Marshall ist die erste, die diesen neuen Service ausprobieren darf. Viele haben mitgeholfen, den Truck auf die Strasse zu bringen, unter anderem Fresenius Medical Care, die die Einrichtung zur Verfügung gestellt und bei der Durchführung von Dialysebehandlungen geholfen hat.

Der Purple Truck ist weit mehr als eine rollende medizinische Einrichtung. „Ihre Heimat verlassen zu müssen ist für die Patienten und ihre Familien eine ganz furchtbare Belastung“, sagt Pflegefachfrau Deb Lillis, die Jedda Marshall begleitet. Der Lkw ist von grosser sozialer Bedeutung, weil er den australischen Ureinwohnern ermöglicht, auch fernab der grossen Städte, in ihrem gewohnten Umfeld, eine Dialysebehandlung zu erhalten.

Die soziale Dimension

In den 1990er Jahren bekamen die Aborigine-Gemeinden in Zentralaustralien die Folgen der zunehmenden Nierenerkrankungen erstmals zu spüren. Deren Häufung war jetzt nicht mehr nur ein individuelles Problem. Längst hatten die Erkrankungen eine soziale Dimension angenommen.

Sie schwächten die kleinen Gemeinden im Outback und die kulturelle Tradition der Aborigines. „Wichtige Mitglieder der Gemeinde leben wegen der Dialyse dauerhaft in der weit entfernten Stadt und haben keine Chance, in die Dörfer zurückzukehren und am Leben der Gemeinschaft teilzuhaben“, sagt Sarah Brown, die Truck-Managerin und treibende Kraft hinter dem Dialysemobil.

Aborigines leben in einer Kultur der mündlichen Überlieferung: Die Älteren geben das traditionelle Wissen, festgehalten vor allem in Liedern, an die Jungen weiter. „Da vor allem die älteren Mitglieder der Gemeinden betroffen sind“, stellt Sarah Brown fest, „ist der gesamte Wissens-Pool der Gemeinschaft gefährdet.“

Jedda Marshall

Ich habe schon in einem Hostel gewohnt, derzeit lebe ich bei einer anderen Familie, aber ich weiss nicht genau, wie es weitergehen wird.

Jedda Marshall
Dialysepatientin

Die Bilder werden politisch

Ende der 1990er Jahre greifen die Aborigines des Western Desert zur Selbsthilfe, um den Nierenkranken zu helfen. Die Künstlerkooperative Papunya Tula stiftet vier gemeinschaftlich hergestellte Bilder, die auf einer Kunstauktion im November 2000 in der Kunstgalerie von New South Wales in Sydney rund 800.000 € erzielen.

Mit diesem Geld gründen sie ein gemeinnütziges Unternehmen namens Western Desert Nganampa Walytja Palyantjaku Tjutaku Aboriginal Corporation (wdnwpt), was übersetzt so viel bedeutet wie „Wir machen unsere Familien gesund“. Die wdnwpt setzt sich seitdem dafür ein, dass sich die Situation der Nierenkranken verbessert. Sarah Brown ist der gute Geist hinter all den Aktivitäten der wdnwpt.

Seit vielen Jahren arbeitet sie nun im Outback. „Ich mag die abgelegenen Regionen des Landes und die Arbeit mit den Aboriginies zur Verbesserung ihrer Lebensqualität ist eine Ehre für mich“, sagt sie. Seit dem Start der wdnwpt ist die Zahl der Dialysepatienten stetig gestiegen. Und damit wachsen auch die Probleme. „Die Aborigines haben eine starke Bindung an ihre Gemeinschaft und an den Ort, in dem sie leben“, bestätigt die Truck-Managerin. Die Pintupi führten früher ein nomadisches Leben in der Natur.

Bis heute schlafen sie in ihren Dörfern nachts lieber unter freiem Himmel. „Wenn sie hier in der Stadt sein müssen, in kleinen Zimmern in Wohnheimen“, beobachtet Sarah Brown täglich, „leiden sie auch psychisch.“

Hoffnung auf Rädern

Doch nun gibt es den Purple Truck, der den Patienten in Alice Springs ermöglichen soll, für wenige Wochen in ihre Gemeinden zu fahren, um an familiären Ereignissen und religiösen Zeremonien teilzunehmen. Mit einer Länge von 12,5 Metern ist der mit Motiven aus der Papunya Tula Künstlergruppe bemalte Truck gross genug, um eine Dialysemaschine, eine Wasseraufbereitungsanlage und diverse Filtertechnologien mitzuführen.

Ein 900 Liter grosser Wassertank für die Dialyse und ein 450 Liter grosser Wassertank für den sonstigen Gebrauch sind ebenfalls integriert, ebenso wie ein Badezimmer und Schlafplätze. Ein Stromgenerator kann Engpässe bei der Versorgung mit Elektrizität ausgleichen. „Das Fahrzeug ist so eingerichtet, dass es mehrere Wochen lang unterwegs sein kann“, sagt Sarah Brown.

Ein Fahrer und eine Pflegefachfrau gehören zum Team, das den Truck begleitet. „Wir haben viel Erfahrung damit, Dialysemaschinen unter extremen klimatischen Bedingungen zu betreiben“, sagt Deb Lillis, die den Einsatz der zehn Pflegefachfrauen koordiniert und bei der Jungfernfahrt nach Papunya selbst mit an Bord ist. Dass es trotzdem immer eine Herausforderung ist, komplexe Maschinen in der Wildnis in Gang zu setzen, zeigt sich vor Ort.

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